Einführung

Über Preise, Stipendien und Sponsoren
von Michael Stoeber

In Zeiten, in denen die öffentlichen Hände weniger Geld zu verteilen haben, werden private Initiativen immer wichtiger, damit Kunst und Kultur weiter florieren können. Im Prinzip hat die Bildende Kunst in der niedersächsischen Landeshauptstadt Hannover einen starken Standort mit gleich drei Instituten, die überregional, national und gelegentlich auch international ausstrahlen: Das Sprengel Museum, die Kestnergesellschaft und der Kunstverein Hannover, die mit Ausstellungen zur klassischen Moderne und zur zeitgenössischen Kunst viel beachtete und geschätzte Beiträge zu deren Würdigung und Anerkennung liefern. Dabei haben sie in der Gegenwart über zu wenig Publikum noch nicht zu klagen gehabt. Das könnte sich in der Zukunft ändern. Die für das Jahr 2008 entschiedene Schließung des gesamten Fachbereichs Bildende Kunst an der hiesigen Fachhochschule dürfte in den kommenden Jahren zu einer Verarmung des ästhetischen Spektrums in der Stadt führen. Bereits jetzt beobachten wir eine dramatische Abwanderung von Künstlern, die früher nach dem Studium hier blieben. Damit einher geht eine nicht minder dramatische Ausdünnung der Galerienszene. Damit eine Stadt ästhetisch lebendig bleibt, braucht es aber eine Verankerung der Kunst in solch fundamentalen Strukturen. Sonst könnten auch die Großinstitute eines Tages mangelndes Publikumsinteresse zu beklagen haben.

Aus diesem Grunde ist auch jede Initiative zu begrüßen, die Hannover als Ort, um hier zu leben und zu arbeiten, für Künstler interessant macht. Dazu gehört in der Gegenwart der »Preis des Kunstvereins Hannover«. Er richtet sich an junge Künstlerinnen und Künstler aus ganz Niedersachsen und Bremen und umfasst ein zweijähriges Atelierstipendium in der so genannten »Villa Minimo« in Hannover, die ihren Namen der Anspielung an das national ausgeschriebene Villa Massimo-Stipendium in Rom verdankt. Immerhin bietet die regionale, niedersächsische Variante zwei jungen Künstlern für zwei Jahre Atelier, Wohnraum und Geld, um in Ruhe und ohne wirtschaftliche Probleme ihrer künstlerischen Arbeit nachgehen zu können. Dazu gehörten in der Vergangenheit aber auch die staatlichen Zuschüsse zum Atelierausbau, die inzwischen leider ebenfalls gestrichen sind, um die Ansiedlung von jungen Künstlern in der Landeshauptstadt zu forcieren. Oder die Kunstankäufe der Stadt oder des Landes, die jungen Künstlern die ersten Schritte in die Existenz als freie Unternehmer erleichtern sollten. Auch sie existieren heute nicht mehr, es sei denn, dass hiesige Wirtschaftsunternehmen und Banken sich in die Rolle von Sammlern junger Kunst begeben haben. Aber hört man sich genauer um, muss man feststellen, dass auch in diesen Kreisen die Begeisterung und das Engagement, junge Kunst durch Ankäufe zu fördern, im Vergleich mit den Investitionen vergangener Jahre deutlich nachgelassen haben.

Anders liegt die Sache bei den mit Prestige behafteten Kunstpreisen wie dem Kurt Schwitters Kunstpreis oder dem Sprengel Preis. Nur, dass diese Preise an nationale und internationale Künstler für ein künstlerisches Lebenswerk vergeben werden. Regionale und junge Künstler können von ihm nicht profitieren. Ähnlich ist es auch mit dem im benachbarten Celle alle zwei Jahre verliehenen, ebenfalls hoch dotierten Kunstpreis der Heitland Foundation.

Michael Stoeber Über Preise, Stipendien und Sponsoren Der durch die Sparda-Bank Hannover-Stiftung geförderte Kunstpreis, der alle 18 Monate vergeben wird, hat verdienstvoller Weise die Förderung regionaler Kunst und Künstler im Auge. Mit diesem Alleinstellungsmerkmal setzt sich die Sparda-Bank Hannover-Stiftung mit ihrer Förderung bewusst von den anderen Kunstpreisen ab, die in Hannover derzeit vergeben werden. Denn der Kunstpreis stellt keinerlei Bedingungen an den Preisträger außer der, in Hannover und Umgebung zu leben und zu arbeiten. Und natürlich der, ein kunstwürdiges Oeuvre vorzustellen. Neben der Vergabe des Kunstpreises mit entsprechendem Preisgeld werden außerdem alle 14 für den Kunstpreis nominierten Künstler durch ein Ausstellungshonorar gefördert. Da die Jury sich dieses Jahr auf zwei Preisträger einigte, die jeder ein Preisgeld von 3.000 Euro erhalten, bleiben noch zwölf Künstlerinnen und Künstler, die zusammen mit den beiden Preisträgern den Ausstellungszug der Sparda-Bank Hannover eG bestiegen haben. Sie werden im Folgenden vorgestellt:

Die Künstlerin Gaby Taplick, Meisterschülerin bei Bernhard Garbert, ist insbesondere durch ihr bildhauerisches Werk bekannt, das in überzeugender Weise Lebensbedingungen des zeitgenössischen Menschen dekliniert. In der Ausstellung zeigt sie minimalistische Grundrisse von »Hütten« (Graphit auf Karton). Allerdings sind das keine platonischen Module wie in der Minimal Art, sondern gänzlich aus der konstruktiven Form des Rechteckes und Quadrats gerückte, um nicht zu sagen ver-rückte Grundrisse, die auf einfache und subtile Weise auf den Sinn- und Orientierungsverlust der Moderne anspielen.

Das ausgereifte, malerische Werk des Künstlers Hans Karl hat hohen Wieder-Erkennungswert. Es lehnt sich inhaltlich an die Alltagswirklichkeit der Pop Art an und an die aufmüpfigen Bildfindungen der Graffiti. Formal kultiviert es bei aller Gegenständlichkeit ein hohes Maß an koloristischer Raffinesse, die mehr im Dienste bildnerischer Autonomie als konkreter Mitteilung steht.Das gilt es im Blick auf Karls amüsantes und (selbst)ironisches Pandämonium eines blinden, hilflosen (männlichen) Begehrens und eines so koketten wie unernsten (weiblichen) Sich-Verweigerns im Auge zu behalten.

Hilke Papenberg zeichnet und malt mit Tusche und Tinte auf Papier, in Wort und Bild, ein Universum zwischen Tag und Traum. Voller Herzflimmern, real, surreal, karikatural. Das schöne Land der Kindheit ist noch nicht untergegangen, aber die bösen Landnahmen der Erwachsenen kündigen sich bereits an. Ein ebenso lockerer wie präziser Strich liebt die Darstellung von Kippbildern: Lampions treiben als exotische Fabelwesen durch ein dunkles Meer, ein spitzer Highheel sieht aus wie eine herrische Königin, in einem weiblichen Schoß drängen sich die Vögel wie die berühmten Schmetterlinge im Bauch der Verliebten.

Magda Jarzabek arbeitet in sehr überzeugender Weise mit digitaler Fotografie. Sie spielt mit den malerischen Wirkungen und Möglichkeiten ihres Mediums. Wenn sie farbige Strukturen (Fäden, Kabel, Gestänge) im Close-up dicht an unsere Augen heranrückt, wird das Selbstverständliche schwierig. Die Bilder werden dann zu Sinnbildern einer ebenso technischen wie unübersichtlichen und schwer zu fassenden Gesellschaft. Ihre »Raumspektrum«-Aufnahmen alliieren in modulierender oder kontrastiver Manier vertikal organisierte Farbstreifen. Leicht durchgebogen verharren sie in ebenso abstrakter wie Sinn verwirrender Schönheit.

Auch Silke Zeidler fotografiert, allerdings erkennbar gegenständlich: Waldansichten. Auch sie liebt die Ambivalenz, die sie indes anstelle von Close-ups durch eine raffinierte Lichtregie herstellt. »Zwielicht«, der Titel ihrer Bildserie, meint nicht nur die Stunde zwischen Tag und Nacht, sondern auch den Augenblick zwischen Hervortreten und Verschwinden, wenn das Gewohnte und Bekannte fremd und unheimlich werden. Die Ambivalenz bezieht einmal mehr das Medium selbst mit ein. Sie meint auch den Moment, wo die Fotografie sich zu überlisten weiß und öffnet für malerische Anmutungen, welche die schweren Rahmen noch prononcieren.

Stanimir Kochnitcharov, Studium der Malerei in Sofia und Hannover, widmet sich erfolgreich dem Crossover, der Verschmelzung unterschiedlicher Stile und Idiome. Nicht das »große Abstrakte« gegen das »große Konkrete«, wie Kandinsky einst prophezeite, sondern alles zugleich und möglichst in einem Bild. Gestische Handschrift und gegenständliche Motive, naive Kinderzeichnung und raffinierte Gestalterfindung, organische Arabesken und konstruktive Motive, zarte Modulation und brachiale Farbkollision, fragiler Strich und feste Form. Das führt zu Bildern, die sich öffnen und zugleich verschließen. Herausforderungen an die Fantasie des Betrachters.

Ein wunderbar stimmungsvolles Bild! Eine Turnhalle. Leer. Durch eine Wand aus milchigen Betonglassteinen bricht Licht. Die Strahlen erhellen die dunkle Halle und fallen auf einige bunte Luftballons, Überbleibsel eines Spiels oder Festes. Das Bild verströmt eine überwältigende Einsamkeit mit bunten Glanzlichtern, ist hart und zart zugleich. Frank Schinski fotografiert in Serien: Menschen im Altenheim, im Polizeidienst, bei der Arbeit und in der Freizeit. Die Bilder bleiben nicht in der Dokumentation stecken, sondern gewinnen oft Gleichnischarakter. Sie charakterisieren treffend, weil der Künstler mit Sinn fürs treffende Detail analytisch hinzuschauen versteht.

Wolfgang Bulla ist ein Meister präziser Darstellung und zugleich symbolischer Überhöhung. Seine gezeichnete und radierte Serie mit Motiven von »Kastanienschalen« entfaltet sich vor den Augen des Betrachters wie ein »film noir«. Durch die Konzentration auf Schwarz und Weiß, durch ungewöhnliche Perspektiven, Anschnitte und Nahansichten verfremdet Bulla seine Bilder zur Parabel. Bei ihm ist die Natur weder idyllisch noch gut. Sondern das Gute ist nur um den Preis des Bösen zu haben, weshalb der Teufel auch der sprichwörtlich arme Teufel ist.

André Alder zeichnet und malt seine Bilder mit Hilfe des Computers. Auf diese Weise schafft er ebenso nachdrückliche wie irritierende Werke, die an die Wirklichkeit erinnern, während sie sich ihr zugleich entziehen. Im Grunde sind das Bilder von hoher Künstlichkeit, angesiedelt zwischen Landschaftsdarstellung und Strömungsdiagramm. Bestimmt wird ihre Physiognomie durch eine mäandernde, sich zur Struktur hin verdichtende und organisierende Linie, deren Auftritt die modulierende Farbe wirkungsvoll unterstützt. Der komplex grundierte Hallraum der Bilder lässt die Möglichkeit unterschiedlicher Echos zu.

Frank Rosenthal ist im Verlauf seiner Karriere immer stiller und zugleich beredter geworden. Mit weniger Mitteln mehr Wirkung erzielen heißt die Devise. Seine eindrucksvollen Papierarbeiten in der Sparda-Bank konzentrieren sich auf wenige Schwarz-, Weiß- und Grauwerte. Für die Linie genügen kurze Pinselhiebe und Striche in der Horizontale oder Vertikale wie bei Penone, nur dass es Rosenthal nicht um malerischen Strukturalismus oder Minimalismus geht. Dafür artikuliert sich sein Werkzeug zu komplex. In Verdichtung und Auflösung, Gestik und Konstruktion zeigt sich uns ein Grammatiker der Malerei.

An der Serie der »Zwischenräume« malt Wolfgang Kessler mit unterschiedlicher Gewichtung seit einigen Jahren. Die Idee dazu kam ihm bei seinen vielen Zugreisen. Die exzellent gemalten Werke entstehen nach Fotografien. Mit ihren Unschärfen feiert der Künstler nicht den futuristischen Rausch der Geschwindigkeit. Sondern Kessler interessiert, worauf auch der Titel der Serie hinweist, das Intermediäre. Sich einrichtend zwischen den widersprüchlichen Polen von Abstraktion und Gegenständlichkeit, Konstruktion und Repräsentation, fragen die Werke diskret nach dem Status des Bildes.

Petra Kaltenmorgen hat ihr fotografisches Handwerk bei Heinrich Riebesehl gelernt. Ihre farbigen »Seestücke« sind während eines Stipendiums in Friedrichshafen am Bodensee entstanden. Wer sich an die frühe, nüchterne und puristische Schwarzweißfotografie der Künstlerin erinnert, mag vielleicht erstaunt sein. Dennoch haben die Serien viel miteinander gemein. Da ist vor allem der konzentrierte Blick der Künstlerin, der hier wie da seinen Gegenstand mit einer ebenso nüchternen wie unübersehbaren Präsenz ausstattet. Und dann die spürbar existentielle Einsamkeit der Bilder, welche die heitere Sommeridylle porös und abgründig macht.

Der Preisträger Karsten Bartz ist in seinen Zeichnungen ein großer Erzähler. Indes erzählt er nicht in der klassischen Manier der Vergangenheit mit klarer Handlungsabfolge, einem Anfang, Hauptteil und Schluss, mit genau charakterisierten Protagonisten und einem spezifischen Thema. Er ist eher ein Meister der Fragmentierung und Andeutung. Seine Zeichnungen, Ölstift, Buntstift, Kugelschreiber und Bleistift auf Papier, leben weniger von Handlung und Aussage, denn von Fantasie und Imagination. Der Betrachter muss selbst mitformulieren an dem, was der Künstler ihm anbietet. Bartz bringt die Betrachter seiner Werke zum Bahnhof, aber er setzt sie nicht in einen bestimmten Zug. Wir sehen einen blau konturierten Mann inmitten eines braunen Strichgewitters, Hand und Arm nach vorn gestreckt und lesen »Pumpen«. Ist es ein Befehl? Oder eher ein Hinweis? Oder eine Entdeckung? In einer anderen Zeichnung wird das Gehirn zum Ornament eines Raubtieres, und »plötzlich herrscht Anarchie« (Thomas Bernhard). Wir sehen auf Bartz' Blättern Motorradjünglinge in Badehose und mit Heiligenschein, ein einsames Ohr in einer braunen See und groteske Blattgeflechte mit der sorglosen Empfehlung: »Rocken, Poppen, Dancen«. Die Bilder sind inhaltlich vieldeutig und formal vielgestaltig. Jedes Haar einer Pelzmütze ist präzise dargestellt, dann wieder bestimmen Leere, Umriss und non finito die Zeichnung. Die Linie kreist organisch oder baut konstruktiv, sie ist ornamental oder schmucklos. Karsten Bartz' Bilder geben suggestive Erzählimpulse mit offenem Ausgang. Sie führen uns in das verschlungene Labyrinth unserer Erinnerungen und Träume, Sehnsüchte und Ängste.

Die Preisträgerin Fei Zhou hat bei John Armleder studiert. Ihr künstlerisches Medium ist die Performance und die Fotografie, deren digitale Möglichkeiten sie bravourös nutzt, um zu ebenso inszenierten wie erzählenden Bildern zu kommen. In »Escape« zeigt sie uns eine Bilderserie, die – wie dokumentarisch auch immer – ohne Umstände zur Metapher wird. Über einer breiten, von Radfahrern befahrenen Straße in China sehen wir eine Fußgängerin der Luft. Die Artistin vollführt ihre equilibristischen Kunststücke in großer Höhe auf stählernen Seilen. Wir sehen nur ihre Füße, die grazil darüber gleiten, als habe sie die Schwerkraft überwunden, so einen Traum verkörpernd, der zugleich ein kollektiver ist und uns alle berührt. In Zhous »Windows« geht der Blick aus einer Wohnung in die Welt. Dieser Blick verbindet Innen und Außen, Privates und Öffentliches und zugleich Geschichte und Gegenwart, Moderne und Tradition. Im Interieur zeigt sich das klassische China, draußen das Gesicht einer global operierenden Technologie. In »Wintersleep« sind die einzelnen Bilder wie in einer filmischen Sequenz aufeinander bezogen. Hier erzählt die Künstlerin am eindeutigsten, wenn auch nicht wenig poetisch. Ein ästhetischer, weißer Raum wird von einem Bett beherrscht. Es steht metonymisch für den abwesenden Schläfer. Allmählich dringt die Außenwelt in den Raum, Wasser und See, Zweige und Bäume. Die Natur holt sich zurück, was ihr die Kultur geraubt hat. Wände weichen, das Gebaute ist nicht mehr bergend. Die Serie zeigt, wie sich Wirklichkeit im Traum auflöst und verdichtet. Und sie zeigt den Einbruch des Unheimlichen in die Geborgenheit als Archetypus allgegenwärtiger Bedrohung.

Michael Stoeber

 

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